Kein Zweifel, Jerzy Pilch – 1952 in Wisla (schlesisch Teschen) geboren, heute in Warschau lebend – verfügt über eine aussergewöhnliche literarische Begabung und ein schillerndes Erzähltemperament. Worum es sich bei seinem 1995 erschienenen Buch «Andere Lüste» handelt, ist denn auch nicht ganz leicht zu entscheiden: um einen grotesken Dorfroman, um eine Parodie auf die exzentrischen Liebesgeschichten Milan Kunderas, um eine ironische Milieustudie des (in der Teschener Enklave) real existierenden polnischen Protestantismus, um eine vorsätzliche poetisch-intellektuelle Abschweifung à la Laurence Sterne oder um eine Parabel über den Menschen als «Weiser, Hirte oder Rindvieh»?
Der unverhoffte Einzug von Pawel Kohouteks «aktueller Freundin» im Teschener Ländchen wirft die kleinbürgerliche Gross-Sippschaft des praktizierenden Veterinärmediziners, Familienvaters und Erotomanen gehörig durcheinander. Die Affäre mit der bibliophilen Intellektuellen aus Krakau erweist sich als existenzielle Falle: «Es war ein Fehler, das zentrale Nervensystem durch eine Überdosis Welt zu zermürben. Ein grosser Fehler.» Versteckspiele, Todesdrohungen, Gardinenpredigten, Lebensbeichten zeitigt «das apokalyptischste Rendez-vous» von Kohouteks Leben, doch die Situationskomik und das Augenzwinkern eines kumpaneihaften Wir-Erzählers tragen den Text nur über wenige Dutzend Seiten hinweg. Die durchaus gekonnt gemachten Einzelmomente des Romans greifen nicht ineinander, die schrägen Töne ersticken sich gegenseitig, manche Figuren erscheinen über-, andere unterzeichnet, die Handlung verläuft im Nichts.